Kindergeburtstag so ganz anders

23.01.2012 23:27

Im Salon wird der große Tisch an eine Wand gerückt und voller gesunde Sachen gestellt.
Chips, Nüsse, Salzstangen, winzige Brötchen mit Wurst, Minipizzen, Cola, Fanta und Fruchtsäfte ohne Frucht – aber in schreienden Farben.
An den Wänden entlang stehen Stühle, darauf sitzen die Erwachsenen.
Es ist 19 Uhr, vorher geht garnix.
Die Kinder spielen auf dem Fußboden in der Mitte des Raumes, lautstarkt wird jede Bewegung  des Nachwuchses von den Erwachsenen kommentiert.
Das Geburtstagskind wird von allen geherzt und bewundert und erhält Geschenke, die es noch nicht auspacken darf. Die Mutter trägt sie sofort in ein anderes Zimmer und drapiert sie auf einem runden Tisch.
Da Kind wird angehalten, (gezwungen), sich bei allen mit Kuss zu bedanken, auch wenn es nicht weiß wofür. Dies tut es auch artig.
Nur bei mir nicht, vor mir hat das kleine Mädchen Angst, ich bin noch fremd. Ich kämpfe verzweifelt mit freundlichen Worten darum, dass man sie in Ruhe lässt, aber nein, keine Ruhe, bis sie nicht mit weinerlichem Gesicht der „Zia (Tante)“ auch einen Kuss gegeben und „Grazie“ gesagt hat.
Sie wird mich dafür hassen…

Zu meinem großen Glück hat eine andere Mutter der Familie eine Tochter, welche so heißt wie ich. Wir kennen uns ein paar Wochen länger und haben Freundschaft geschlossen. Sie ist 4 Jahre alt, sehr kreativ, äußerst lebhaft und hängt an mir mit ihrem ganzen Gewicht, jedes Mal wenn wir uns sehen. Sie ist mein größter Fan und lernt von mir, wie man sich Locken dreht, das auswärts der Füße, (sie nimmt Ballettstunden), dumme Fratzen und deutsche Lieder. Wir haben viel Spaß zusammen, teilen unsere Leidenschaft für Stifte und Farben und es entbindet mich bei Familientreffen von der anstrengenden Pflicht, den Gesprächen (Geschrei) im tiefsten Dialekt ununterbrochen zu folgen.

Dieser mein Fan erlöst mich von der peinlichen Situation, dem unübersehbaren Mißtrauen des Geburtstagskindes ausgeliefert zu sein – unter den aufmerksamen Blicken aller Anwesenden. Sie hüpft auf meinen Schoß und wir albern eine Runde herum.

Nachdem die Kinder sich unter strenger Kontrolle müde gespielt haben, werden die Torten aufgetragen und die Teller (immer Plastikgeschirr) gewechselt.
Die Torten schreien in bunten Chemiefarben „Issmich!“, eine riesige Lokomotive in rosa, eine mit dem Gesicht des Geburtstagskindes in Marzipan als Deckel, die dritte Torte ist mit Rosen und Blättern verziert.
Laut wird verkündet, wer welche Torte geschenkt hat und aus welcher Konditorei sie ist.
Natürlich möchte das Kind seine Torten anfassen und steckt beide Hände in die Lokomotive. Die rosa Farbe geht nicht mehr ab, die Mutter schrubbt im Bad das Kind, dabei lerne ich zwei neue Flüche. Dann sieht man sie eine Weile nicht, denn sie muss putzen. Das Kind aber ist unglücklich. Sie hat nun knallrrosa Hände.
Ich frage mich, ob die Farbe so gesund ist wie sie aussieht.
Die Mutter ist zurück und jetzt werden Fotos für das Familienalbum gemacht! Jeder Gast muss das Kind auf den Arm nehmen und sich für das Album fotografieren lassen.
Mir graut vor meinem Auftritt, das Kind hat Angst vor mir..

Da die Kleine müde ist, die Torten anfassen will, immer noch keine Geschenke hat und nicht mehr grinst auf den Bildern, machen alle Erwachsenen, die gerade nicht fotografiert werden, Fratzen, feuern sie an mit Klatschen, lautem Schreien und Gesang. Jeder gibt sein Bestes – mein Kopf droht zu zerspringen. Mein Guter schaut mich von der Seite an mit diesem Blick: Nix wie weg, aber wie???

Ich bin dran. Im letzten Moment kommt mir die rettende Idee.
Ich schlage vor, dass mein Guter das Geburtstagskind auf den Arm nimmt und ich meine Namensvetterin – und glücklicherweise wird der Vorschlag angenommen, sogar für gut befunden.
Die Kleine schaut mich von der Seite böse an, ich mache eine Fratze, sie lacht – ich lande mit Fratze auf dem Foto und sie grinsend. Alle sind zufrieden.
auf das Foto bin ich gespannt. Ich lande im Familienalbum als die verrückte Tante aus Deutschland, schielend und mit herausgestreckter Zunge. Prima.

Noch eine andere Tante, eine Uroma, irgendein entfernter Cousin…irgendwann ist es soweit, Fotoapparat weg. Die Torten werden angeschnitten.
Ich bete, dass ich nichts von der rosa Lok essen muss und habe Glück. Ich bekomme ein Stück mit Zucherrosen in grellem Orange. Die Torte hat eine Cremeschichten in Blau, orange und grün. Dazwischen Teig. Ich frage meinen Fan, ob sie meine Rose möchte – sie erlöst mich von der Zuckerbome. Ich stopfe immer ein Stück Torte in mich und spüle mit Wasser nach..so schaffe ich mein Stück. Viel zu schnell, denn man will mir nachlegen, ich hätte doch noch nichts von der Lok gehabt!!
Sehr überzeugend lege ich dar, dass ich so voller Chips und Minipizzen bin – unmöglich, jetzt noch etwas zu essen.
Man packt mir ein großes Stück vom rosa  Führerhaus ein, denn der Hintern der Lok ist zerstört.

Nach einer halben Stunde Smalltalk (Schon gehört? Der ist im Gefängnis, der wurde angeschossen, den hat Equitalia (staatliche Einzugsstelle für Steuern und Gebühren) in die Pleite geschickt, dessen Frau ist mit dem Pastor nachts gesehen  worden, die ist von der rumänischen Putzfrau bestohlen worden..) geht’s ans Geschenke auspacken.
Das Geburtstagskind ningelt, es ist nach 22 Uhr. Es reißt die Packungen auf und hat mehr Spaß am Zerknüllen des Papiers als an dem Inhalt.
Das macht die Mutter wett mit lauten AHH und OHH und alle stimmen ein.
Wir stehen als erste auf und gehen, viele Küßchen, viel Gewinke, nochmals danke (sag Grrrazie zur Tante !!) sind wir draußen.
Erstmal eine Zigarette, ich würde auch einen Schnaps nicht abschlagen. Ich nehme nicht nur das rosa Führerhaus sondern auch ein schlechtes Gewissen mit, da ich so lieb aufgenommen wurde – und mich doch nicht so recht wohl gefühlt habe. Dies lag wohl an meiner Unsicherheit und an der sehr ungewohnten Situation.

Morgen nur Obst ..Magenreinigung.