Besuch in der Deutschen Siedlung

29.08.2012 10:48

(Namen geändert)

 

Es war Markt in einem Nachbarort und dort haben wir Helga getroffen. Helga und Horst leben in einer deutschen Siedlung und waren zu Besuch im Nachbarort. Mittags holten sie ein gegrilltes Hühnchen und so kam es, dass ich neben mir jemanden in breitem Schwäbisch schimpfen hörte, dass das ganze Hähnchen 4 Euro kostet.

Wir kamen ins Gespräch und Helga lud uns ein, den Samstagnachmittag bei ihnen zu verbringen und lockte mit deutschem Essen - zugegeben, verlockend nach so langer Zeit des Exils.

Gestern fuhren wir also mittags los, denn noch sind die Touristen da und die wunderschöne Straße am Meer entlang, war wie erwartet hoffnungslos verstopft.
Nach über 2 Stunden waren wir da – und ziemlich vergrummelt, denn ich hätte die Einladung zum jetzigen Zeitpunkt lieber abgelehnt, weil dieser Stau zu erwarten war. Aber mein besserer Hälft wollte mir unbedingt den „Gefallen“ tun, einen Nachmittag unter Landsleuten zu verbringen.
Und nach einer Stunde Stau meckerte er dann los – eben genau das hatte fraulicher Instinkt vorausgeahnt und vermeiden wollen. Na, zu spät.

***

 

Der Nachmittag beginnt..

Wir biegen ein in die Siedlung, wo sich ein schmuckes Häuschen ans nächste reiht, ordentlich gestutzter Rasen, eine Schneewittchengruppe als Gartenzwerge, Vogelhäuschen auf Holzpfählen und nirgends Wäsche vorm Haus. Alles perfekt, sauber, ordentlich. Sehr hübsche, verschnörkelte Briefkästen, alle Autos blank geputzt.

Wir sehen gleich wo wir sind und mein Guter meint, es sähe aus wie in einer deutschen EFH - Siedlung, wenn nur nicht die Palmen wären.

Helga erwartet uns schon am Tor, wir sind  (alte Gewohnheit) superpünktlich, diese Gewohnheit finden wir gut und legen sie nicht ab, komme was wolle.
Bitte eintreten – Aber SCHUHE AUS!!! Oh, Entschuldigung.  Wir schlüpfen aus unseren Sandalen.
Horst freut sich sehr, das sieht man – er hat schon Feuer im Garten entzündet, damit es in 2 Stunden ordentlich Glut gibt. Denn zur Feier des Tages wurden Bratwürste aufgetaut, die man aus der Heimat in der Kühlbox mitgebracht hat.

Bei Jakobs Krönung und Pflaumenkuchen mit Butterstreuseln fühlen wir uns zurückversetzt in die Heimat. Das gute Geschirr, die gehäkelte Decke unter dem Fernseher, die Porzellanpüppchen auf der Sofalehne und schwere Samtvorhänge an den Fenstern – es ist, als würde man eine andere Welt betreten. Ein wenig fehl am Platz fühlen wir uns, sonnenverbrannt wie wir sind von der vielen Gartenarbeit, locker angezogen wie es hier üblich ist bei 35 Grad im Schatten. Denn Helga trägt einen langen Rock, hohe geschlossene Pumps und eine Bluse mit vielen Rüschen – und schwitzt wie verrückt.

„Man muss sich seinen deutschen Stil behalten, sonst wird man zum Barbaren!“ verteidigt sie ihr Outfit, als ich, (Fettnäpfchen sind immer meine), sie frage, ob sie das bei der Hitze aushält, sich so einzupacken.

Und nun geht’s los, denn "Stil" war ihr Stichwort. Helga scheint vergessen zu haben, dass mein Guter Süditaliener ist und hält nichts zurück.
!!Diese Italiener!!  Wenn die picknicken benutzen die nur Plastikgeschirr! Und die Kinder dürfen mit in die Lokale abends, furchtbar! Und weißt Du, wie schwer es war, Jakobs Krönung zu finden? Und dann gabs unseren Kaffee, aber keine Filtertüten! Ich hab dem aber was erzählt beim Penny, (Es gibt hier Penny??), er solle sich mal weiterbilden und sich über unsere Esskultur informieren, dann würde er auch mehr verkaufen!
Und dann hatte der doch im letzten Monat Filtertüten, aber keine deutsche Kaffeesahne!

Ich bemerke schüchtern, dass wir ja hier im untersten Zipfel Italiens sind und die Italiener weder Brühkaffee noch Filtertüten oder Kaffeesahne brauchen, also klar, dass die das nicht im Sortiment haben. Es wäre doch schon toll, wenn es das ab und zu geben würde, wir hätten noch nie danach gesucht.
Hätte ich nur nichts gesagt!!
Helga quillt rot aus ihrem Rüschenkragen und meint, ob ich meine deutschen Wurzeln etwa verleugnen würde??
Ne, das nicht, geht ja gar nicht. Ich würde mich eben nur anpassen und mit dem, was es so gibt, ganz gut klarkommen. Dafür gibt’s doch tolles Obst zum Beispiel und viel Gemüseauswahl. Und der Kaffee sei doch hier sehr gut und würzig und der Cappuccino ein Traum.

Dieses Gemüse!!! Die essen lauter Grünzeug mit langen Blättern, wir sind seit über 10 Jahren hier, aber ich esse doch kein Gemüse was ich nicht kenne! Hier suchst Du im Winter Rüben, meinst Du, Du findest eine Rübe? Nur dieses Grünzeug und dann sind die einheimischen Möhren rund und innen lila! Das kann doch keiner essen!

Horst kommt dazu und pflichtet ihr bei. Er meint, dass zum Glück der Penny das gemischte Kaisergemüse gefroren hat, das kaufen sie oft und kochen damit auch ihren Eintopf im Winter. Wäre eben schade, in Deutschland würde man gesünder leben, da gibt es Kraut und Rüben immer frisch.

Ich versuche es weiter..
Auf dem Markt gibt es im Winter alle möglichen Kohlsorten erkläre ich, das wird doch auch hier so sein, es sind doch nur 60 Kilometer zwischen uns, da wird doch dasselbe angebaut. Und die Möhren schmecken wunderbar, die Farbe ist eben anders, aber die roten gibt’s auch, nur ist das Importware und nie so frisch wie das hier angebaute. Man könne doch hier wirklich vieles kaufen, viel mehr als in Deutschland – und immer morgens frisch geerntet.

Markt??? Wir sprechen kein Italienisch, was sollen wir dann auf dem Markt? Da ist es laut und wir finden ja alles im Supermarkt. Nein, wir gehen nicht auf den Markt.
Aber vorne das erste Haus wenn man einbiegt zu uns, DIE (!!!) geht auf den Markt! DIE (!!!) kauft sogar vom Straßenhändler Gemüse, Obst und sogar Eier!

..und nun geht’s los..die Nachbarn.

In den nächsten Stunden erfahren wir alles, was wir nicht wissen wollen, über alle Leute in der Siedlung. Mir schwant, dass wir das zweifelhafte Vergnügen haben, bei der Bildzeitung zu sitzen, denn Helga – so lieb sie ist und so bemüht als perfekte Gastgeberin – kann nicht anders. Sie hat einen unerschöpflichen Fundus an Informationen, den muss sie nun vorführen.

Da ist das Paar, welches seinen Rasen nicht pflegt, an den Seiten wächst er über die Rasensteine heraus. „Ich würde mich schääääämen!!“
Dann die von gegenüber sind am schlimmsten, sie hören italiensiche Musik und DIE(!!!) singt immer mit. DIE(!!!) will nur angeben, weil sie italienisch gelernt hat und grüßt uns neuerdings mit „Buongiorno“!

Zwischendurch schau ich immer mal zum Chef meines Herzens, der amüsiert sich königlich hinter seinem Bart, die Äuglein blitzen – er hat seinen Spaß. Ich bin genervt, beschließe aber, das wie ein Theaterstück zu sehen, denn die Würste werden nun auf den Grill gelegt – die müssen vertilgt werden. Ja, ich bin käuflich ;)

Horst hat sich inzwischen was Bequemes angezogen und entführt in weißem Unterhemd meinen Guten, der ist froh, aus dem plüschigen und sehr warmen Wohnzimmer in die Freiheit entlassen zu werden und folgt bei Fuß. Ich biete Helga an, mit ihr abzuräumen und den Abwasch zu machen. Sie freut sich wirklich über meine Gesellschaft und nimmt an.
In der Küche habe ich vor lauter Püppchen und Nippes und Zwiebelzöpfen und Bildchen und Figürchen Angst, mich frei zu bewegen. Das liegt wohl daran, dass wir fast nur im Freien leben. Helga dagegen bewegt sich flink und wendig mit all ihren Rüschen und Volants und so haben wir es bald geschafft, alles blitzsauber.

Dann wird der Staubsauger geholt, ich bekomme einen Handstaubsauger, da ich den Wunsch äußere, ihr zu helfen. Nun soll ich die Polster absaugen, auf denen wir gesessen haben. Wir würden „auf dem Land“ wohnen meint sie, da wäre es sandig und staubig, aber wir könnten ja nichts dafür.

Danke Helga, das tut gut, so viel Verständnis. Ich verzichte darauf, ihr zu sagen, dass unsere Kleidung aber sauber war, ganz frisch angezogen, ehrlich!
Und wir duschen auch..

Ich sauge also obenrum und sie vom Eingang bis unter den Tisch, dann auch noch bis ins Bad, denn wir waren ja auch da drin gewesen, um uns die Hände zu waschen.
Ich sehe im Augenwinkel, wie sie das Gästehandtuch begutachtet. Vielleicht sucht sie nach Spuren roter Erde oder nach Sandflöhen? Etwas seltsam fühle ich mich schon..

Als alles wieder klinisch rein ist, gesellen wir uns zu den Männern. Ich darf unsere Sandalen holen, die vor der Eingangstür parken. Helga bleibt auch im Garten in ihrer Rüschenkluft und irgendwie tut sie mir leid, wie sie auf hohen Absätzen immer brav auf dem Gehweg bleibt, dessen Rasen natürlich nicht über die Kanten hinauswächst.

Ich helfe ihr, den Tisch draußen zu decken. Es gibt eine komplette Außenküche mit Dach, sehr schön eingerichtet, alles vorhanden, sogar eine Mikrowelle. Die haben wir in Deutschland gelassen, denn wir machten damit nur im eisigen Winter die Körnerkissen für unsere Arthrosen heiß – brauchen wir nicht mehr. Ich mache ihr ein Kompliment, ein ehrliches, denn die kleine Küche auf der überdachten Terrasse ist wirklich schön. Keine Figuren, kein Plüsch, keine Püppchen, praktisch und klare Linie, wunderbare Naturmaterialien.

OH!!! Das hier ist noch vom Vorbesitzer, der hatte alles neu eingebaut und wir haben es so abgekauft. Ab Oktober kommen die Handwerker, das kommt alles weg!

Warum frage ich sie, wäre doch perfekt?

Siehst Du nicht dieses Material? Der Fußboden in Naturstein, ich will Fliesen! Dann die Arbeitsplatte, das ist Granit! Und ein Kamin, das rußt doch alles zu, der wird nie benutzt.
Sie klappert ins Haus und kommt mit Prospekten wieder. Wir setzen uns an den wunderschönen Tisch, Olivenholz, derb gearbeitet, die Platte sicherlich 10cm dick.

Helga zeigt mir eine sehr moderne Küche in Lila-Schwarz, glänzende Oberflächen, alle Schikanen mit Elektrogrill und Abzugshaube (im Freien?) usw. Dazu passend ein schwarzer PVC-Tisch mit lila Schalensitzen.

Ich stelle mir das hier vor, unter dem Orangenbaum, an der Wand klettert eine Clematis, Blick auf einen knochigen Olivenbaum mitten im sauber gestutzten Rasen – ne. Das passt nicht, furchtbar.
Nun kann ich es Helga nicht so sagen, ich merke nur an, dass es mir zu modern wäre. Diese Küche jetzt aus Vollholz mit den derben Möbeln würde meiner Meinung nach richtig gut passen, auch zum Boden in Naturstein.

Sie grinst und legt mir ein Faltblatt vor vom Fliesenhandel. „Ne, das passt schon alles!“ – und zeigt auf eine hochglänzende Fliese, lila mit schwarzen Figuren drin, ein abstraktes Muster.

Seit 10 Jahren würde sie unter dieser Küche leiden, aber vorher mussten andere Anschaffungen gemacht werden. Nun kommt die Küche endlich raus und was modernes rein. (Passend zu der Rüschenblüse?)

Ich wechsle das Thema in der Hoffnung, dass wir irgendwo eine Gemeinsamkeit finden und erzähle von unseren Hunden.
IGITT!!! Also, nicht dass Helga was gegen Tiere hätte, im Gegenteil. „Wir sind seeehr tierlieb!“ Aber haben wollten sie keines, wegen der Haare. OK. Nach der Staubsaugeraktion kann ich das verstehen, aber ich meine, dass unsere Tiere hier ja draußen leben.
Tiere? Habt Ihr noch mehr Tiere?
Ja, momentan noch 6 Hühner und wir warten auf die schwangere Katze, die soll bei uns einziehen mit ihrem Wurf, wegen der Mäuse.

Ich habe es ja ehrlich versucht, aber nach diesem Geständnis merke ich, dass Helga das Interesse an der neuen  Bekanntschaft verloren hat, das scheint endgültig zu sein. Sie seufzt..oh..so viel Arbeit, Hühner..die machen einen Dreck (jou, aber im Stall und den mach ich sauber..egal), Katzen, die haben so viele Haare..Mäuse, igitt, wieso habt Ihr Mäuse? (vielleicht, weil wir auf dem Land leben und keine Katzen haben?).

Horst bringt stolz die Würste an, es gibt 2 Sorten deutschen Senf dazu, eiskaltes Flaschenbier, dunkles Brot vom Penny – wir essen mit Freude und Hunger und bedanken uns wortreich, denn damit haben sie uns wirklich eine große Freude gemacht, ganz ehrlich.
Die Männer kommen gut miteinander aus, Horst wird immer mal ermahnt beim Essen, wenn er mit dem Brot krümelt (dann kommen die Ameisen!), die Rüschenbluse verschwindet in einer kurzen Esspause, weil Senf draufgekleckert ist.  Es wird doch noch richtig gemütlich, der selbstgemachte Kartoffelsalat ist ein Gedicht, das können die Italiener wirklich nicht, da gebe ich ihr Recht.
Aber ich kann es nicht lassen anzumerken, dass wir Deutschen ja auch keine richtige Pizza hinbekommen ;)

Unser Gastgeschenk – ein Korb mit eingelegten Tomaten und Oliven, Kapern in Meersalz, eine Flasche Olivenöl und Wein – alles Produkte, die in der Familie hergestellt wurden, wird nun genau untersucht und wir erhalten nochmals ein großes Danke dafür.
Helga bewahrt professionell die Fassung, aber ich weiß, dass sie außer der Weinflasche nichts davon verwenden werden..schnief.

Wir verabschieden uns erst um Mitternacht, denn Horst erzählt uns noch diverse Erlebnisse, die er mit den „Einheimischen“ hatte, von unmöglichen Spontanbesuchen bis hin zum Nichtkennen einer Trockenbauwand, die er so gern gehabt hätte, aber die können ja nur mauern..usw..

Das obligatorische Küßchen links und rechts haben sie sich aber abgeschaut und nach Bebusseln sind wir wieder im Auto und treten die Heimfahrt an. Sicherlich erwarten uns nun leere Straßen und es geht schneller. Weit gefehlt, diese „unmöglichen Italiener“ mit ihren Plagen sind immer noch unterwegs und verstopfen die Straße..

Wir kommen gegen 2 Uhr nachts an und müssen beide lächeln, als wir zum Tor reinfahren. Ich frage meinen Guten, worüber er sich freut und er meint, dass er sich als unmöglicher Italiener einfach wieder so wohl fühlt, auf seine Scholle voller Erde und Sand zu kommen.
Die Hunde kommen uns entgegen und sind voller Haare – klar, sonst wären es ja Nacktmulle.

Der Mond steht links oben, wir sitzen vorm Camper und trinken eine Weinschorle aus Plastikbechern und freuen uns, dass wir es sooo schön haben .. weit weg von der Siedlung.